Nikola Hahn

 

Die Detektivin

Exposé

 

Glashaus nennen die Kinder der Familie Könitz die große Orangerie, die Dr. Könitz seiner Frau vor fünfunddreißig Jahren als Hochzeitsgeschenk erbauen ließ. Daß das imposante Gebäude nicht nur der Lieblingsplatz von Sophia Könitz ist, sondern ein schreckliches Geheimnis birgt, ahnt niemand, als nach einem fröhlichen Volksfest im Stadtwald die 15jährige Dienstmagd Emilie verschwunden ist. Kriminalkommissar Richard Biddling glaubt an einen normalen Vermißtenfall, doch Victoria, die Nichte von Dr. Könitz, die zum Entsetzen ihrer Mutter lieber Mordgeschichten von Edgar Allan Poe und Abhandlungen über Leichenerscheinungen liest, statt sich Stickarbeiten und Klavierstunden zu widmen, wie es sich für ein anständiges Mädchen des gehobenen Bürgertums gehört, ist fest davon überzeugt, daß Emilie eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Verdächtige für das Verbrechen gibt es gleich zwei: einen unbekannten, heimlichen Liebhaber des Mädchens und den Mainfischer Oskar Straube, der Emilies Amulett besitzt.

Als die Leiche des Mädchens endlich gefunden wird, spitzt sich das Geschehen zu: Wurde Emilie im Glashaus umgebracht? Warum weigern sich Dr. Könitz und seine Frau, über die Vergangenheit zu sprechen? Welche Rolle spielt der attraktive Frauenschwarm Eduard, Victorias Cousin, in dem Spiel? Wer ist der ominöse Hannes, der regelmäßig bei Kommissar Biddling auftaucht und erstaunlich gut über die Familie Könitz Bescheid weiß? Liegt die Lösung des Falles vielleicht in einem Verbrechen, das vor zehn Jahren geschah und niemals aufgeklärt wurde? Schließlich findet Victoria den entscheidenden Beweis. Aber Genugtuung über die Entlarvung des Mörders können weder sie noch Richard empfinden ...

Die Detektivin führt den Leser in die Welt des späten 19. Jahrhunderts, eine Welt, in der der unaufhaltsame Aufstieg der Naturwissenschaften und optimistischer Gründerboom einhergehen mit Massenelend und rigiden bürgerlichen Moralvorstellungen. Es ist eine Zeit des Widerspruchs, des Umbruchs, in der die Grundsteine für die Gesellschaft gelegt werden, in der wir heute leben.

Frankfurt am Main präsentiert sich im Jahr 1882 als modernde, aufstrebende Stadt: Die überall entstehenden Industrieansiedlungen befinden sich größtenteils in den umliegenden Orten; um die Stadt herum liegen Gärten und Parks, die Schicht des gehobenen Bürgertums, zu der auch Victoria gehört, hat keine finanziellen Sorgen. Es lebt und verdient sich gut in Frankfurt, auch wenn so manche alteingesessene Familie sich noch immer nicht damit abfinden mag, daß die ehemals Freie Stadt zu einer x-beliebigen preußischen Provinzstadt degradiert wurde. Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die Krimihandlung in Die Detektivin, und an der Tatsache, daß die Alteingesessenen die Zugezogenen mit Argwohn betrachten, hat sich in hundert Jahren nicht viel geändert, auch wenn es heute nicht mehr die Preußen sind, denen mit Vorurteilen begegnet wird.

Daß neben der Geschichte von Victoria Könitz auch die Arbeit der Kriminalisten Biddling und Braun in Die Detektivin eine wichtige Rolle spielt, ist kein Zufall: Nikola Hahn ist selbst Kriminalkommissarin, und viele der im Roman als neuartig geschilderten Ermittlungsmethoden sind für sie und ihre Kollegen heute längst zur Routine geworden. Und so ist ist Die Detektivin auch eine Reise in die faszinierende Entstehungsgeschichte der Kriminalistik, und alle Krimifans, die schon immer wissen wollten, wer auf die Idee mit dem Fingerabdruck kam, werden ebenso auf ihre Kosten kommen wie diejenigen, die sich nichts Schöneres vorstellen können, als es sich mit einem bis zur letzten Seite spannenden Buch vor dem Kamin oder auf dem Sofa gemütlich zu machen.

copyright by Nikola Hahn

Roman
Ullstein TB-Verlag
440 Seiten
EUR 8,95
ISBN 3548249019


Leseprobe aus: "Die Wassermühle"

Um viertel nach acht beorderte Dienststellenleiter Kissel die Beamten der D-Schicht in den Sozialraum. Zwei Minuten später kam er mit einer sehr schlanken, schwarzhaarigen jungen Frau herein. Sofort hefteten sich alle Blicke auf sie. Sie zupfte verlegen an ihrer Uniform und sah an den Beamten vorbei zur Wand.
Kissel wartete, bis alle Geräusche im Raum verstummt waren. „Meine Herren! Ich darf Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß Frau Polizeikommissarin zur Anstellung Dagmar Streibel ab heute in Ihrer Dienstgruppe Dienst versehen wird. Ganz besonders freut es mich, daß es mir gelungen ist, die seit längerem vakante Stelle von Kollegin Schmidt wieder mit einer jungen Dame besetzen zu können."
„Blablabla", raunte Klaus seinem Streifenpartner Uli ins Ohr.
„Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, meine Herren, geht mein Bestreben dahin, in allen Dienstgruppen mindestens eine weibliche Beamtin zu haben. Im Gegensatz zu so manchem Gestrigen in unseren Reihen, bin ich nämlich durchaus der Meinung, daß Frauen für die Polizei eine Bereicherung darstellen. In diesem Zusammenhang darf ich Ihnen verraten, daß unsere junge Kollegin die Polizeifachhochschule als Jahrgangsbeste abgeschlossen hat. Der eine oder andere unter Ihnen wird also einiges von ihr lernen können, was rechtstheoretische Fragen angeht."
Kommissarin z. A. Streibel bekam einen roten Kopf. Die Ärmel ihres Uniformhemds waren zu lang, die Manschetten über ihre schmalen Handgelenke gerutscht. Die flotte Kurzhaarfrisur paßte nicht zu ihrem unsicheren Auftreten. Klaus fragte sich, welcher Teufel sie geritten hatte, zur Polizei zu gehen.
Jochen Kissel reichte ihr die Hand. „Ich darf mich vorerst von Ihnen verabschieden?" Er wies auf Michael. „Der Dienstgruppenleiter der Dienstgruppe Dora, Herr Stamm, wird sich um Sie kümmern und Ihnen einen kompetenten Beamten zur Seite stellen, der Sie in die Dienstgeschäfte einweisen wird."
„Ich bin gespannt, mit wem sie fährt", sagte Uli im Flur.
Klaus zuckte mit den Schultern. „Das ist mir so egal wie der berühmte Sack Reis in China."
Lachend betraten sie die Wache. Uli nahm den Schlüssel des Hundewagens vom Wachtisch.
„Was dagegen, wenn ich mit Klaus Präventivstreife fahre?"
„Vorher müßtet ihr in der Groß-Hasenbach-Straße vorbeischauen. Frau Westhoff hat Besuch", sagte Michael.
„Oh Gott", sagte Klaus. „Nicht schon wieder."
Michael grinste. „Ich habe ihr versprochen, die Special-Agents vorbeizuschicken, sobald sie abkömmlich sind. „Los, los, die Dame wartet!" Er sah Dagmar an. „Wenn du willst, kannst du mitfahren."
„Gerne", sagte Dagmar.
Genau so hatte Klaus sich das vorgestellt!
„Was ist denn das für ein Besuch, den diese Frau Westhoff hat?" fragte Dagmar, als sie aus dem Hoftor fuhren.
„Ziemlich unangenehme Sache", sagte Uli.
„Gefährlich?"
„Mhm."
„Könntest du bitte etwas konkreter werden?"
„Angst brauchst du keine zu haben", sagte Klaus.
„Ich habe keine Angst! Ich möchte lediglich über den Sachverhalt informiert werden, damit ich mögliche Einsatzvarianten prüfen kann!"
„Soso", sagte Uli. Im Innenspiegel sah Klaus sein Grinsen. Er bog in die Geleitsstraße, dann in die Groß-Hasenbach-Straße ein.
„Macht ihr euch etwa lustig über mich?" fragte Dagmar pikiert.
Uli zog die Augenbrauen hoch. „Nichts liegt mir ferner, Kollegin." Vor einem heruntergekommenen Mehrfamilienhaus hielt er an. „Für den Besuch von Frau Westhoff gibt es nur eine Einsatzvariante."
„Und die wäre?"
„Augen zu und durch", sagte Klaus, nahm das Handfunkgerät und stieg aus.
Maria Westhoff wohnte in einer Zweizimmerwohnung unterm Dach. Sie war eine grauhaarige Dame und trug ein elegantes Kostüm. Ihr faltiges Gesicht war dezent geschminkt; ihre geschwollenen Füße steckten in Filzpantoffeln. „Bin ich froh, daß Sie endlich da sind", flüsterte sie. „Sie sind zurückgekommen."
„Alle?" fragte Uli.
„Alle!" Sie sah Dagmar an. „Wer sind Sie, bitte?"
„Kommissarin Streibel wird die Sache überwachen", sagte Uli.
„Sie sind eine richtige Kommissarin? Wie die Frau Elsner im Fernsehen? Aber warum haben Sie dann eine Uniform an?"
„Weil ich keine Kriminalkommissarin, sondern eine Polizeikommissarin bin", sagte Dagmar.
Maria Westhoff wandte sich an Uli. „Heißt das etwa, daß die Frau Elsner gar nicht von der Polizei ist?"
„Doch, doch", beruhigte er sie. „Aber sollten wir uns nicht um Ihre Gäste kümmern?"
Maria Westhoff sah ängstlich zu der geschlossenen Wohnzimmertür. „Diesmal sind sie durchs Dach gekommen."
„Mhm", sagte Uli. „Haben Sie das Werkzeug parat?"
Maria Westhoff nickte und verschwand in der Küche.
„Könnt ihr mir verraten, was das hier werden soll?" fragte Dagmar ungehalten.
Uli legte seinen Zeigefinger auf den Mund.
Maria Westhoff kam mit einer Blechschüssel und einem Kochlöffel zurück. „Geht es auch damit?" fragte sie leise. „Die Töpfe sind nicht gespült."
Uli nahm die Schüssel und den Löffel und betrachtete beides eingehend von allen Seiten. Er sah Klaus an. „Was meinst du, Kollege? Geht‘s damit?"
„Mhm", sagte Klaus.
„Also gut. Wenn ich sie zusammengetrieben habe, gibst du den Eliminationsbefehl!"
Klaus zog das Handfunkgerät aus seiner Uniformjacke. Uli schlich zur Wohnzimmertür, öffnete sie und fing an, mit dem Löffel im Dreivierteltakt auf die Schüssel zu schlagen. Maria Westhoff hielt sich jammernd die Ohren zu.
„Jetzt!"
Klaus schaltete die Rauschsperre an seinem Handfunkgerät aus. Er zählte bis zehn und schaltete sie wieder ein.
Maria Westhoff war begeistert. „Sie sind weg! Alle weg!"
Uli gab ihr die Schüssel und den Kochlöffel zurück. Klaus steckte sein Funkgerät ein.
„Ihre Männer sind wirklich unschlagbar, Frau Kommissarin!" sagte sie zu Dagmar.
Dagmar bekam einen roten Kopf. Klaus hatte Mühe, sich das Lachen zu verbeißen. Maria Westhoff begleitete sie zur Tür und verabschiedete sie mit einem überschwenglichen Dankeschön.
"Wenn ihr es lustig findet, alte Menschen, auf den Arm zu nehmen, ist das eure Sache. Ich mache da jedenfalls nicht mit!" sagte Dagmar, als sie die Treppe hinuntergingen.
"Die zuständigen Stellen haben festgestellt, daß weder Fremd- noch Eigengefährdung vorliegt", sagte Klaus.
"Abgesehen davon, daß sie ein- bis zweimal im Monat strahlenverseuchte Geister durch Wände kommen sieht, ist sie völlig normal", sagte Uli. "Also einer unserer harmlosen Fälle."
"Es ist trotzdem nicht richtig, sie derart an der Nase herumzuführen", sagte Dagmar, als sie weiterfuhren.
"Du darfst ihr beim nächsten Mal gern erläutern, daß in ihrem Wohnzimmer keine verstrahlten Gespenster herumsitzen", sagte Klaus amüsiert.
Dagmar drehte sich zu ihm um. "Genau das werde ich tun, Kollege!"
Die Frisur steht ihr, dachte Klaus.

Roman
Ullstein TB-Verlag
651 Seiten
EUR 9,45
ISBN 3548248195


 

nikola-hahn@t-online.de

 

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