Jocubs erzählt

 

Die kurischen Pferdchen


  Mein Großvater hieß Jocubs. Er war beamteter Fischmeister in Ostpreußen. Am kurischen Haff hatte er die Fischerei zu beaufsichtigen. Auch im Winter. Wenn das Haff gefroren war, hatten die Fischer Löcher in das Eis geschlagen. Von Eisloch zu Eisloch wurden mit Hilfe langer Stangen Netze unter die Eisdecke geschoben. Die Netze mit den zappelnden, lufthungrigen Fischchen wurden dann wieder herausgezogen.

Nun passierte es, dass in besonders kalten Wintern die Eisdecke des Haffs über längere Strecken aufriss. Das gab dann recht breite Wasserspalten. Man durfte da nicht hinein fallen.

Die Fischer fuhren im Winter mit Schlitten zu ihren Eislöchern. Gezogen wurden die Schlitten von kurischen Pferden. Die waren ziemlich klein, waren ausdauernde Traber, hatten ein struppiges Fell, schlaue Augen, ließen sich, besonders von Fremden, nichts gefallen und wussten meist alles besser als die Menschen. Deshalb mussten die Fischer sie nicht mit den Zügeln lenken. Sie wussten auf Zuruf selbst, wohin die Fahrt gehen sollte.

Die Pferdeschlitten besaßen besonders lange Deichseln. Das hatte einen vernünftigen Grund: Falls doch einmal ein Schlitten in eine Eisspalte geriet, konnten Schlitten, Menschen und Pferde mit Hilfe der nach vorn und hinten weit ausladenden Deichsel wieder herausgezogen werden. Für solche Zwischenfälle führten die Fischer auch stets Rettungswasser, das heißt: eine Flasche selbst gebrannten Samagonka- Schnaps mit sich, um in der Not sich fürs erste wieder erwärmen zu können. -Aber solche Unfälle passierten selten - der Schnaps musste also sonst wo ausgetrunken werden, damit er nicht alt wurde. Gewöhnlich war die sichere Fahrt auch über das Eis den klugen und kleinen kurischen Pferdchen zu verdanken. Sobald sie eine Eisspalte entdeckten, nahmen sie zügig Anlauf und sprangen mit ihrem Schlitten hurtig über das Wasser.

Nun war das Pferdchen des Großvaters, der, wie ich schon sagte, Jocubs hieß und beamteter Fischmeister war, irgendwann einmal erkrankt oder trächtig, jedenfalls musste er ein neues Pferd haben. In der Umgebung gab es keines. Daher wurde ihm ein kräftiges und fröhliches Pferdchen aus dem Littauischen vermittelt. - Damit zog er ohne Zögern aufs Eis, denn irgendwo sollten schon wieder zu enge Netze geschoben worden sein. Aufsicht tat Not!

Das fröhliche Tier muss nichts von großen Sprüngen gehalten haben. Es sprang bereits bei der ersten Eisspalte zu kurz und fiel mit Schlittchen und Fischmeister ins Wasser. Sicher war es den hilfsbereit herbeieilenden Fischern ein besonderes Vergnügen, den Chef im Wasser zu sehen und ihn mit lautem Hallo samt Pferdchen zu retten!

Er wurde sodann, wie es guter Brauch war, von ihnen mit ihren Samagonkaflaschchens auf der Fahrt zu seinem Hause am Leben erhalten.

- Mag sein, dass sie auch seinem neuen Pferdchen etwas davon eingeflößt hatten. Das Pferdchen lernte wundersam schnell mit gefährlichen Gewässern und Eisspalten umzugehen.

Es hatte sich wohl auch in Zukunft stets an jenen Reinfall und die anschließende gute Behandlung mit Samagonka erinnert!. Jedenfalls: Immer wenn mein Großvater Jocubs mit diesem Pferdchen - auch im Hochsommer- mit seinem Einspännerwagen unterwegs war und es geregnet hatte geschah Folgendes: Das Pferdchen sah auf der Straße die Regenpfützen, beschleunigte, ging vom Trab in den Galopp über und sprang regelmäßig und mit Erfolg mitsamt anhängendem kleinen Wagen und Fischmeister zur lauthalsigsten Freude nicht nur der Dorfjugend mit einem Riesensatz über jede Wasserpfütze der Straße! Weil das auf die Dauer doch recht peinlich war, durfte das Pferdchen wieder zurück ins Littauische und der Fischmeister übernahm ein einheimisches Tier, das Beihilfe zu gesetzwidrigem Fischen geleistet hatte.


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