Gedankenverloren
radelte der junge Historiker Brandon Lennard über das Gelände seiner
Universität. Er fühlte sich wohl, hier in San Francisco, hatte schon immer ein
Faible für diese Stadt gehabt. Um so größer war die Freude, als es mit einer
Dozentur in seinem Fachbereich Archäologie geklappt hatte. Vor drei Semestern
hatte er mit seiner Arbeit hier begonnen. Es machte ihm Spaß und das schien
sich wohl auch auf seine Studenten zu übertragen, denn seine Vorlesungen waren
immer überfüllt. Wenn man ihn so sah,
konnte man ihn selbst noch für einen Studenten halten: Mit seinen 1,70 m war er
nicht gerade sehr groß. Und seine dunkelbraunen, lockigen Haare trug er
schulterlang, meistens zu einem Zopf zusammen gebunden. Das ließ ihn, trotz
seiner 26 Jahre, auf den ersten Blick noch recht jung erscheinen. Seine
Studenten schien er allerdings gut im Griff zu haben: Zwar gewann er durch
seine lockere Art schnell ihre Zuneigung, doch andererseits bewies er auch
genügend Gefühl für Autorität, um sich als Lehrkraft eine klare Position zu
verschaffen. Brandon musste an
seine Mutter denken: Sie hatte ihn alleine großgezogen, lebte jetzt in Atlanta.
Er hatte eine ganze Weile nichts mehr von ihr gehört. Seinen Vater kannte er
nicht. Das Einzige, was er von ihm wusste, war, dass sie beide dasselbe
Muttermal in Form eines kleinen Ahornblattes an der linken Wade hatten -
ansonsten hüllte seine Mutter sich in Schweigen und war nicht bereit, seine
Identität preiszugeben. Angeblich wusste er nichts von Brandons Existenz. Zur Zeit machte
Brandon sich Gedanken um eine Studentin im ersten Semester, die eines seiner
Nachmittags-Seminare besuchte. Ihretwegen war er auf dem Weg zu Direktor
Farnham. Anscheinend gab es da ein Problem: Schon länger war ihm aufgefallen,
dass sie manchmal völlig grundlos kicherte, unkonzentriert reagierte und oft
fahrig wirkte. Sein Versuch, sie darauf anzusprechen, war jedoch kläglich
gescheitert. Und irgend etwas war unter den Studenten im Gange: Das geheime
Getuschel in irgendwelchen Ecken war von ihm nicht unbemerkt geblieben. Es
kamen einige Ungereimtheiten zusammen, die sein wacher Verstand aufmerksam
registrierte. Leider bestätigte sich sein Verdacht dann auch, als er von einer
Mitbewohnerin der Studentin ins Vertrauen gezogen wurde: Sie war drogenabhängig
und an der Uni selbst schien sich so etwas wie ein Drogenhandel etabliert zu
haben. Die Zeit war reif zum Handeln! Direktor Miles
Farnham fuhr sich durch seinen ergrauten Schopf, nachdem Brandon ihm die
Sachlage geschildert hatte. Insgeheim seufzte er ein wenig und fragte sich,
warum er sich mit seinen 64 Jahren nun auch noch mit so einem Problem
herumschlagen musste. Er liebäugelte schon länger mit dem Gedanken, endlich in
den Ruhestand zu gehen und sich nur noch dem Schreiben von Fachliteratur zu
widmen. Nachdenklich schaute er seinen jungen Dozenten an: "Nun... ich
denke, Sie haben völlig Recht, Doktor Lennard: Wir müssen in dieser
Angelegenheit etwas unternehmen. Sicherlich ist niemand von uns daran
interessiert, dass solche Dinge den guten Ruf unserer Universität
schädigen!" Brandon Lennard
nickte zustimmend: "Was meinen Sie: Soll ich mich mal mit der örtlichen
Polizei in Verbindung setzen?" Farnham schüttelte
den Kopf, dann schmunzelte er jedoch und meinte: "Ich weiß Ihr Engagement
zu schätzen, aber das ist nicht nötig. Wissen Sie, ich spiele am Wochenende
zufällig Golf mit dem Polizeipräsidenten. Verbleiben wir einfach dahin gehend:
Ich werde mit ihm eine Lösung besprechen und Sie dann in Kenntnis setzen...
sagen wir Anfang nächster Woche?" "Gut,
einverstanden!" erhob sich Brandon von seinem Stuhl. "Ich warte also
auf Ihre Nachricht!" Dann verabschiedete er sich höflich und ging
erleichtert von dannen. Farnham sah ihm
hinterher: Wer hatte gedacht, dass sie mit diesem jungen Mann einen derartigen
Glücksgriff machen würden? Zunächst war er skeptisch gewesen, als ihm damals
seine Bewerbung vorgelegen hatte. Brandon Lennard war ihm einfach zu jung
erschienen für eine Dozentur. Immer wieder hatte er seinerzeit dessen
Unterlagen durchgesehen und sich gefragt, wie er es schaffen konnte, schon so
früh sein Studium abzuschließen und als Fünfundzwanzigjähriger in seinem
Fachbereich Südamerikanische Kultur zu promovieren. Und alles hatte er mit
Auszeichnung bestanden. Manchmal kam er ihm
sogar viel zu ernsthaft vor für sein Alter. Doch Farnham gefiel der Eifer, mit
dem er seine Arbeit verrichtete. Anscheinend war er immer auf dem laufenden,
was auch seinen Studenten zugute kam. Seine Vorlesungen waren dabei, Kultstatus
zu erreichen und schienen nie langweilig zu sein. Die Universität hatte seit
Beginn seiner Tätigkeit einen sprunghaften Anstieg bei den neuen
Einschreibungen verzeichnet. Und da die Studenten auch merkten, dass ihre
Probleme ihn nicht unberührt ließen, war er zum Anfang des neuen Studienjahres
mit überwältigender Mehrheit zum Vertrauensmann der Studentenschaft gewählt
worden. Miles Farnham
lächelte still vor sich hin: Der junge Doktor Lennard hatte Leben in den
verstaubten Lehrkörper gebracht - das musste er zugeben! aus Kapitel
1 Es klopfte energisch
an der Tür seines kleinen Büros und Brandon erschrak sich heftig, denn er war
ganz in neue Unterlagen vertieft gewesen. Aufgescheucht nahm er seine
Lesebrille ab und sah auf die Uhr: Halb sieben... Ach herrje, dass hatte er ja
völlig vergessen, wahrscheinlich war das der Cop vom Drogendezernat. Irritiert sah Nathan
Wallace sich um, nachdem er eingetreten war: "Entschuldigung... ich suche
Doktor Lennard..." Brandon war es schon
gewöhnt, für einen Studenten gehalten zu werden. "Ich bin Doktor Lennard - nehmen Sie doch bitte Platz!" deutete er
höflich auf einen Stuhl. Wallace zeigte
Brandon vorschriftsmäßig seinen Dienstausweis und stellte sich vor: "Agent Nathan Wallace: Drug Enforcement Administration."
Sie schüttelten sich
die Hände und waren sich gleich sympathisch. Nathan Wallace wurde ziemlich
schnell klar, dass sein Gegenüber gewillt war, sich ernsthaft und mit allen
Konsequenzen für seine Studenten einzusetzen. Und Brandon hatte auch sofort das
Gefühl, mit Nathan an den richtigen Mann geraten zu sein: Dieser burschikose,
drahtige Typ, der ihm da nun gegenüber saß, machte einen entschlossenen
Eindruck. Und mit der Materie schien er sich ebenfalls bestens auszukennen,
hatte u.a. Undercover – Erfahrung. Sehr schnell waren sie in ein intensives
Gespräch verwickelt. In dessen Verlauf stellte sich dann auch heraus, dass
Brandons Verdacht keineswegs unbegründet gewesen war: Bereits seit geraumer
Zeit hatte die DEA seine Uni im Auge, man hatte sogar schon daran gedacht,
einen verdeckten Ermittler einzusetzen. Natürlich war es in diesem Fall ideal,
wenn man mit Brandon einen Kontaktmann hatte, dem die Studenten sowieso
vertrauten. Bei ihm würde sicherlich niemand Verdacht schöpfen. Sie hatten sich
schon fast eine Stunde unterhalten, als Nathan meinte, ob er nicht vielleicht
Lust hätte, noch auf ein Bier mitzukommen. Er wolle sich sowieso noch mit
seinen Kollegen Eddy und Ben treffen. "Dann könnten Sie sich gleich kennen
lernen, wie wär's?" "Ja, warum
nicht! Ist das weit weg von hier?" stimmte Brandon zu. "Nein: Wir
wollen uns im Skylab treffen, kennen
Sie das?" "Ja, klar!
Liegt noch im Uni-Viertel, da bin ich manchmal." "Wollen Sie
selber fahren oder kann ich Sie mitnehmen?" "Ach, ich werde
mit dem Rad hinfahren - ich habe nämlich kein Auto!" grinste Brandon. Nathan war erstaunt:
"Kein Auto? Gibt's so was auch?... Sind Sie 'n Öko-Freak oder so?" Ein amüsiertes
Lachen war die Antwort: "Keine Bange: Ich werde Sie nicht zum
Körnerfressen überreden!" Nathan lachte ebenfalls: "Na, dann
bin ich ja beruhigt! Also, dann
treffen wir uns dort in...
sagen wir einer viertel Stunde?" "Abgemacht! Ich
packe meine Sachen zusammen und mache mich auf den Weg!" "Okay
- wir treffen uns an der Theke, ja?" "Alles
klar! Bis gleich!"....................................... ....................................Die
interne Einsatzbesprechung der DEA erfolgte zwei Tage später. Man hatte einen
jungen Kollegen aus der Sitte dazugezogen, der sowieso für einen Wechsel zur
DEA vorgesehen war. Gerald Foster sollte undercover als Student im zweiten
Semester an Brandons Uni eingeschleust werden. Angeblich von seiner alten
Universität verwiesen, hatte man ihm jedenfalls eine lupenreine Vergangenheit
verschafft. Und einen erstklassigen schlechten Ruf. Nat, Eddy und Ben
wurden für den Fall zuständig erklärt und kontaktierten Brandon, der dann zu
einer internen Besprechung mit ihrem Vorgesetzten gebeten wurde. Er bekam einen
Sonderberater-Ausweis, damit er sich bei der DEA und bei einem eventuellen
Einsatz frei bewegen konnte. Einige Formalitäten folgten noch, dann sollte er
auf weitere Anweisungen von den drei Musketieren warten. "Herrje,
Nat..." schüttelte Brandon den Kopf, als Nat ihn anschließend im Wagen mit
nach Hause nahm. "Wie könnt ihr bei soviel Bürokrimskrams noch die ganzen
bösen Jungs fangen, sag mal!?" Nat lachte und
grinste ihn an: "Ach, dass machen wir mal so eben nebenbei, weißt
du!" "Haha... schon
klar!" meinte Brandon, dann schüttelte er plötzlich mit dem Kopf und
schmunzelte vor sich hin. "Hey, was ist
so lustig?" wollte Nat sofort wissen. "Ach, ich
dachte nur gerade: Wenn ich Eddy und Ben so getroffen hätte, ich hätte nie
vermutet, dass die beiden Cops sind, weißt du!" "Wieso
das?" runzelte Nat seine Stirn. "Also, ich
finde, Eddy sieht aus wie der "Latin – Lover" schlechthin, so als
wäre er gerade aus einem Model – Katalog entsprungen..." Nat lachte sich ins
Fäustchen: "Na, sage ihm das bloß nicht: Genau so benimmt er sich nämlich
auch, sobald die holde Weiblichkeit aufkreuzt!" "Tja, und Ben
ist einfach so der Typ biederer Familienvater, oder?" "Genau
das", wurde Nat jetzt ein wenig nachdenklich, "wäre er gerne! Ich
glaube, seine Frau und er haben ungefähr zehn Jahre versucht, Kinder zu
bekommen und haben inzwischen ihren Traum von einer Familie begraben..." "Oh, das tut
mir leid für ihn!" meinte Brandon mitfühlend. "Ist ein netter Kerl,
ich mag ihn gerne!" "Ja,
da kann ich dir nur beipflichten! Aber sag mal, Lenny, hast du noch was vor
heute Abend?" "Nee,
eigentlich nicht, wieso?" "Komm doch mit
zu mir, zum Abendessen, wie wär's? Dann kannst du mal meine Familie kennen
lernen, ja?" "Ach... ich
weiß nicht... Deine Frau rechnet doch bestimmt nicht mit Besuch und ich will
bei euch nicht so unerwartet hereinplatzen..." "Blödsinn! Die
kennt das - Ed und Ben kommen auch
öfters reingeschneit. Also: Du fährst mit, keine Widerrede!" Brandon schmunzelte,
leicht überrumpelt, und sah ihn von der Seite an: "Kriege ich jetzt noch
Handschellen verpasst oder hast du mich schon adoptiert?" kam es dann ganz
trocken. Nat lachte lauthals los: "Na, ich
sehe schon: Du passt gut in unser Team!" Und somit stand
Brandon einige Minuten später in Nats Haus. "Carol? Wo bist
du?" rief Nathan nach seiner Frau. "Hier! In der
Küche!" "Hi,
Schatz!" Er gab ihr einen Begrüßungskuss. "Ich habe Lenny
mitgebracht!" Ein sympathisches
Gesicht, umrahmt von kastanienbraunem, schulterlangem Haar, lachte Brandon an
und er wurde aufs Herzlichste von Carol begrüßt: "Wie schön! Lerne ich
also den berühmten "Archo-Doc" endlich mal kennen! Grüß dich! Ihr
kommt ja gerade passend: Setze dich doch, Lenny! Dann können wir gleich
zusammen Abendessen, ja? Du bleibst doch noch, nicht wahr?" Nat
grinste: "Er hat keine Wahl: Ich habe ihn adoptiert!" "Na, dann sind
die Familienverhältnisse ja schon geklärt..." schmunzelte Carol. "Sag mal,
Schatz, wo ist denn unsere kleine Kröte?" suchte Nat nach seiner kleinen
Tochter. "Lucy ist
hinten im Garten - holst du sie eben?" Brandon zog seine
Jacke aus und hängte sie über eine der Stuhllehnen. Dann nahm er Carol die
Teller aus der Hand. "Warte - ich helfe dir mit dem Tischdecken!" "Daddy...
wie heißt der?" Nat stand mit der
kleinen Lucy in der Tür. Wem sie ähnelte, war nicht zu übersehen, nur das ihre
Haare noch ein wenig rötlicher leuchteten, als die ihrer Mutter. Aufmerksam
wurde Brandon von oben bis unten gemustert. Er ging in die Hocke
und reichte der Kleinen seine Hand: "Ich heiße Brandon. Aber du kannst
auch Lenny sagen. Hi, Lucy!" "Hi!" Lucy zog ihre Stirn kraus und mit einem kritischen Blick beäugte sie
Brandons Haare. "Du... bist du ein Mädchen?" "Aber Lucy! Wie
kommst du denn darauf?" wunderte sich Nat. Brandon
hockte immer noch vor ihr. "Ja, sag mal, warum meinst du das denn?" "Nur Mädchen
haben so lange Haare!" "Tja, da hast
du sicherlich Recht: Die meisten Jungs haben nicht ganz so lange Haare... Ich
glaube, ich muss sie mir mal wieder schneiden lassen!" gab Brandon ihr
Recht. Vorsichtig fuhr Lucy
mit ihrer Hand über seine Backe und stellte fachkundig fest: "Aber einen
Kratzebart hast du, wie Daddy... Du bist doch ein Junge! Und außerdem",
fügte sie hinzu, "hast du keinen Busen!" Carol lachte: "Na, nachdem ihr die
anatomische Seite abgecheckt habt... dann könnten wir ja jetzt essen,
oder?" Brandon fühlte sich wohl in der lockeren
Stimmung und nahm gerne Platz. Verschmitzt sah er Nat an: "Na, ich hoffe,
bei einem halben Mädchen machst du die Adoption jetzt nicht wieder
rückgängig!" Nat lachte: "Na gut: Ist
genehmigt!".......................................... aus Kapitel
2 Vier Tage später klopfte
es ganz zart an der Bürotür. Brandon drehte sich auf seinem Stuhl herum und sah
auf die junge Frau, die da ganz schüchtern eintrat: "Senior
Lennard?" Sie war nicht größer
als er selbst und ihre schulterlangen Haare umrahmten das zarte Gesicht, aus
dem ihn zwei haselnussbraune Augen fragend ansahen. Er musste unwillkürlich an
das Märchen von Schneewittchen denken: Eine Haut wie Elfenbein, Haare schwarz
wie Ebenholz... Niedlich, wie sie seinen Namen aussprach... Und erst ihr
Lächeln: Es war bezaubernd, von einer so anrührenden Unschuld, dass es ihn auf
der Stelle gefangen nahm. Und für einen Moment sprachlos machte. "Ähm...
Hola!" Er hieß Tatika Ramos in seinem schönsten Spanisch willkommen und
bat sie, Platz zu nehmen. Tatikas Herz hatte
wild geklopft, als sie draußen vor der Tür gestanden hatte. Doch als sie jetzt
vor ihm saß und sich mit ihm in ihrer Muttersprache unterhalten konnte, ließ
ihre Nervosität deutlich nach. Dieser junge Doktor schien ein netter Mensch zu
sein. Dann erzählte er kurz, in fließendem Spanisch, von seiner Zeit an der Uni
in Cuzco. Und als sie dann auch noch von ihrer gemeinsamen Vorliebe für die
Inka sprachen, war das Eis endgültig gebrochen! Brandon genoss es, mal wieder
in Spanisch plaudern zu können - er mochte die Sprache. Doch plötzlich
meinte Tatika: "Senior Lennard..." "Oh,
bitte," unterbrach er sie, "sage doch einfach Brandon, ja?" Verlegen lächelte
sie ihn an und ließ sein Herz noch ein Stückchen höher hüpfen, als es das
ohnehin schon tat. "Gut, Brandon. Bitte, lieber ich möchte sprechen in
Amerikanisch. Dann lernt sich Sprache besser und alle Vorträg und Arbeit auch
sind in dein Sprache. So das besser ist, ja?" Ihre holprige
Aussprache klang wie Musik in seinen Ohren und je länger sie sich unterhielten,
desto wärmer wurde ihm ums Herz: Sie hatte ihn im Sturm erobert. Er lud Tatika dann
zum Mittagessen ein und zeigte ihr anschließend alles bei einem Rundgang übers
Uni-Gelände. Sie unterhielten sich noch über viele Dinge und spürten beide eine
große Sympathie füreinander............................... aus
Kapitel 4 "Oh
Nein!!" Mit einem Ruck
schoss Brandon im Bett hoch: Er hatte wohl vergessen, den Wecker zu stellen. "Was
ist..?" machte Tika neben ihm schlaftrunken ihre Augen auf. "Ich habe
verpennt! In einer halben Stunde ist Vorlesung... Bleib ruhig liegen - du
kannst nachkommen!" In Windeseile suchte
er seine Klamotten zusammen, packte seine Tasche und sprang unter die Dusche.
Dann schwang er sich, noch mit nassen Haaren, auf sein Rad und düste los. Mit
fünf Minuten Verspätung betrat er den Hörsaal. Er ging zum Pult, nahm die
Unterlagen aus seiner Tasche und heftete sich das Mikro an die Brust:
"Morgen, Leute!" "Morgen!"
schallte es zurück, während in den vorderen Reihen schon einige Studenten
grinsten ob seiner noch halbnassen Haare. Sie nutzten jede sich bietende
Gelegenheit zu einem kleinen Schlagabtausch. Das hatte sich schon, wie ein
Ritual, eingebürgert. Genauso wie der höfliche Ton, der das ganze noch ein
wenig auf die Spitze trieb. Und so auch jetzt:
"Ach, sagen Sie, Doktor Lennard: War die Nacht zu lang oder die Zeit zum
Duschen zu kurz - Ihre Haare sind ja noch nass!" Brandon blieb
lässig: "Ach, Mr. Whitfield - einen wunderschönen guten Morgen auch
Ihnen!" Er griff sich an den Kopf: "Nasse Haare sagen Sie? Tja, da
habe ich wohl zu lange im Internet gesurft!" Im Hörsaal brach
Gelächter aus, so liebten sie ihren Doc! Michael Whitfield
ließ nicht locker: "Und Ihre reizende Assistentin, wo ist die? Surft die
noch im Internet?" grinste er vielsagend. Erneut ging
Gelächter durch die Reihen: Mittlerweile wusste natürlich jeder, dass die
beiden ein Paar waren und seit kurzem auch zusammen bei Brandon wohnten. "Aber, aber, Mr. Whitfield... Kennen Sie nicht die neue
Regelung?" kam es prompt retour. Alle warteten gespannt,
was nun kam, während Michael Whitfield fragend mit den Schultern zuckte. Und er bekam seine
Antwort: "Na, vorlaute Studenten müssen doch jetzt ein Extra-Semester
machen: Ein Knigge-Semester!" Schmunzelnd streckte
Michael ihm den erhobenen Daumen entgegen: Diese Runde ging an Brandon! Als er am Nachmittag
in sein Büro kam, wartete schon eine E-Mail auf ihn. Sie kam aus Cuzco, von
Carlos Ramirez. Und es war eine verdammt gute Nachricht: Er teilte ihm mit,
dass man endlich Mittel für eine Expedition bewilligt bekommen habe. Sie sollte
in Ecuador stattfinden, auf der alten Inka-Route, am Fuße des
Pichincha-Gebirges, ungefähr 25 km von Quito entfernt. Und einer der
bekanntesten Experten für den südamerikanischen Kulturraum, Prof. Dr. Gregory
Hays, hatte seine Teilnahme zugesagt. Wow, dachte Brandon
bei sich, mit Hays zusammenarbeiten... das wär's noch! Dann las er weiter und
glaubte seinen Augen kaum zu trauen: Ramirez schrieb, dass er ihn als dritten
Experten vorgeschlagen habe! Brandon rieb sich
die Augen: Hatte er jetzt schon Halluzinationen!? Doch da stand es schwarz auf
weiß! Da stand sein Name! Und Ramirez bat umgehend um Bestätigung. Er hatte es ein paar
Mal versucht, doch immer mit dem gleichen Ergebnis: Der Anschluss unter dem
Namen seiner Mutter existierte nicht mehr. Selbst übers Internet war in den
örtlichen Registern keine Eintragung zu finden. Und als er mit Tika an diesem
Abend von der Uni zurückkam, lag Post im Briefkasten: Ein freundlicher
Nachmieter hatte den Brief an seine Mutter netterweise zurückgesandt und darauf
vermerkt, dass sie unbekannt verzogen sei. Er hatte sich auf
die Couch gesetzt, hielt den Brief in seinen Händen und rang mit seiner
Fassung. Tika setzte sich daneben und legte ihren Arm auf seine Schulter.
"Donnio mio... es tut mir so leid! Du musst sein sehr enttäuscht von dein
Mama...." Er sah sie an und
seine Augen füllten sich mit Tränen: "Weißt du... ich wollte ihr einfach
nur sagen, wie glücklich ich bin... von uns erzählen, von der Expedition... So,
wie man einer Mutter das eben erzählt. Aber anscheinend bin ich ihr
mittlerweile völlig egal! Ich verstehe das nicht!" "Aber mir du
bist nicht egal!" Zärtlich nahm sie ihn in die Arme und er weinte sich
seine Enttäuschung von der Seele. Bei Tika fühlte er
sich zu Hause. Es war alles sehr
schnell gegangen: Nachdem der ganze Papierkram erledigt war, hatte man die
Expedition zu Beginn der Semesterferien im Juli festgesetzt. Und das Beste an
der Sache war, dass ihm eine studentische Hilfskraft zustand. Keine Frage, auf
wen die Wahl da fiel. Tika war begeistert: Sie würde ein Praktikum dort vor Ort
absolvieren können und auch noch fast zuhause sein, denn sie kam ja aus Quito.
Ihre Eltern freuten sich schon sehr darauf, sie wiederzusehen - und ihren
Freund, von dem sie so begeistert sprach, kennen zu lernen. Und so kam es, dass
Tika und Brandon sich zwei Wochen vor Beginn der Expedition von ihrer Uni
verabschiedeten und bereits nach Ecuador flogen, um einige Zeit bei Tikas
Eltern zu verbringen......................................... aus
Kapitel 5 Brandon hatte es
geschafft, sich von hinten ins Zelt zu schleichen. Aber gerade, als er seinen
Rucksack mit dem Handy holen wollte, wurde er doch noch erwischt. "Tika lauf weg!
Zu Viracocha!!" hatte er noch versucht, sie zu warnen und gehofft, dass
sie es bis zur Höhle schaffen würde. Kurz darauf hörte er
ihr Schreien und einer der Männer zerrte sie an den Haaren herbei, vor das
Gemeinschaftszelt, wo sie ihn auch hingebracht hatten. Als er dort hineinsah,
musste er gegen seine aufsteigende Übelkeit ankämpfen: Da lagen die
anderen... erschossen. Der Anführer des
Überfallkommandos, dieser Jack, war ein eher besonnener Typ, ruhig, aber
bestimmt. Brandon war aufgefallen, dass er Amerikaner zu sein schien und er
fragte sich, was ihn wohl zu diesem Trupp verschlagen hatte. Jedenfalls sah es
so aus, als würden die Anderen ihm bedingungslos gehorchen. Er hatte befohlen,
sie erst mal nicht zu erschießen, bis man sicher sei, dass sich niemand anders
mehr hier herumtreiben würde. Brandon sah Tika an: Auch sie hatte die Toten
gesehen und stand, wie versteinert vor Angst, neben ihm. Doch jetzt waren sie
erst einmal der Willkür von diesem Juan Martinez ausgeliefert, der ihn im Zelt
entdeckt hatte. Aus seinen Augen sprach blanker Hass und eines war Brandon in
diesem Moment völlig klar: Dieser Mann war der Gefährlichste von allen. Er hatte sich
Brandons Rucksack geschnappt und begann, darin herumzuwühlen. Siedendheiß
durchfuhr es Brandon: Der Scherzausweis der DEA! Wenn er den in seiner
Brieftasche entdeckte und nicht erkannte, dass er unecht war... Oh Gott! Er
spürte, wie ihm der Schweiß hinunterlief, spürte seine Knie butterweich werden.
Bloß nichts anmerken lassen... Doch es war zu spät:
Triumphierend hielt Juan Martinez seine Entdeckung in der Hand und fuchtelte
wie wild vor seinem Gesicht damit herum: "Was haben wir denn hier!!? Hä!?
Einen Bullen haben wir hier, Leute!!!" hielt er das Dokument in die Runde.
"Einen "Sonderberater der DEA"! Ich sag dir was, Bulle: Das ist
hier einen Scheißdreck wert, dein Sonderberater - einen Scheißdreck, hörst
du!!?? Und was soll das überhaupt sein: Experte für Apathologie? Kannst du mir
erklären, Bulle, warum ihr euch nicht vernünftig ausdrücken könnt? Oder hat
euch eure Weisheit schon so ins Gehirn geschissen!?" versuchte er, ihn der
Lächerlichkeit preiszugeben. Brandon war völlig
klar, dass dieser Typ ihm den Scherzausweis sowieso nicht glauben würde und
versuchte, eine andere Erklärung finden: "Das hat mit Pathologie zu tun...
Gerichtsmedizin... ich hab ein paar Semester Pathologie gehabt..." Jetzt trat dieser
Juan so dicht an ihn heran, dass er seinen stinkenden Atem spürte - und die
Pistole, die er ihm unter sein Kinn presste. "So so, Bulle..." grinste
er hämisch. Dann entfernte er sich wieder ein paar Schritte. "Dann bist du
also so ein Leichenfledderer!... Na, dann kommt es dir ja sicher auf eine
Leiche mehr oder weniger nicht an..." Und dann brüllte er, noch während er
ihnen den Rücken zuwandte, ein lautes: "Hab ich Recht, Bulle!!??" in
den Dschungel. Brandon spürte die
Anspannung in jedem einzelnen Muskel und die Angst schien das Adrenalin
tonnenweise in seinen Körper zu pumpen. Er reagierte ohne
nachzudenken und warf sich mit einem Ruck schützend vor Tatika, als Juan
Martinez sich ganz plötzlich umdrehte und einen gezielten Schuss auf sie abgab. Im Fallen riss er
sie mit um und spürte noch den heißen Schmerz, der seine linke Rippenseite
durchbohrte, bevor er bewusstlos am Boden lag. Tatika beugte sich
schluchzend über ihn: "Sag doch was, Donnio, bitte, sag doch was!" Als Brandon die
Augen wieder öffnete, sah er, wie dieser Jack plötzlich neben Juan stand und
ihm seine Pistole in den Nacken drückte. "Was glaubst du, was du hier
tust!?" herrschte er ihn an. Alle anderen zuckten
merklich zusammen, selbst Juan wurde mit einem Mal zuckersüß: "Nichts...
schon gut... reg' dich ab!" Ungerührt hielt Jack
weiter seine Waffe auf ihn gerichtet: "Du lässt die Finger von dem
Bullen... und auch von der Frau, ist das klar!?"................ ................Die
Luft wurde immer schwüler und der Schweiß rann ihm aus allen Poren. Es war ein
unwegsamer Trampelpfad durch den Dschungel am Fuße des Pichincha, der auch
schon so genug Mühe machte. Und dieser bohrende, brennende Schmerz in seinen
Rippen schien ihm kaum Platz zum Atmen zu lassen. Keuchend setzte er einen Fuß
vor den anderen, Tatikas besorgten Blick auf sich geheftet. Der Verband war
schon völlig durchgeweicht von der blutenden Wunde und färbte sein T-Shirt rot. Sie waren etwa
zwanzig Minuten gelaufen, als er plötzlich stöhnend auf die Knie sackte,
zitternd und kreidebleich im Gesicht. "Kurze Pause,
Leute!" befahl Jack, der immer hinter ihm gelaufen war. "Er kann sich
einen Moment ausruhen."................................ ...........................Nach
knapp einer weiteren viertel Stunde Fußmarsch waren sie endlich am Ziel: Ein
gut verstecktes Camp, aus der Luft nicht sichtbar, mit zwei Bunkern: Einem
Waffendepot und einem Drogendepot. Brandon hatte zuletzt
nur noch mechanisch einen Fuß vor den anderen gesetzt und apathisch vor sich
hingestarrt. Ein Marsch durch die Hölle, bei dem jede Sekunde zu einer Ewigkeit
zu werden schien. "Bringt die
beiden in mein Depot!" hatte Jack befohlen. Doch bis dahin kam
Brandon nicht mehr: Lautlos war er zusammengesackt und hatte das Bewusstsein
verloren........................ ............................Es
drang schon kein Tageslicht mehr durch das kleine Fenster des Bunkers, nur eine
einsame Motte zog unter dem spärlichen Bunkerlicht ihre Kreise, als Jack
hereinkam. Sorgfältig schloss er den Eingang von innen zu, öffnete dann das
Gitter. Tatika schluckte ängstlich, als er auf sie zukam. Was würde jetzt
geschehen? Brandon war
eingenickt, Jacks Stimme weckte ihn auf: "Wie geht's ihm?" fragte er
und ging in die Knie, während er auf das blutdurchtränkte T-Shirt sah. Dann
schüttelte er den Kopf und fuhr sich nachdenklich mit der Hand durchs Gesicht:
"Er hat schon viel zu viel Blut verloren... Los, hilf mir, ihn rüber zu
bringen!" deutete er auf die verschlossene Tür im hinteren Teil des
Bunkers. Gemeinsam hievten
sie Brandon hoch, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Es sollte sich
herausstellen, dass in dem anderen Raum Jacks privates Quartier war. Sogar ein
Feldbett stand dort, auf das er Brandon legte. "Los!"
befahl er Tatika: "Zieh ihm das T-Shirt aus und entferne den Verband: Wir müssen die Kugel rausholen!... Schau
mich nicht so entsetzt an! Er hat sonst keine Chance!" Jack war ein Mann,
der nicht lange fackelte und der sich genau auszukennen schien. Bevor Brandon
sich versah, hatte er ihm seine Hände am Kopfende des Bettes festgebunden, so
das er mit gestrecktem Oberkörper dort lag. Er hatte einen Verbandskasten
mitgebracht, nahm eine Mullbinde heraus und hielt sie Brandon vor die Nase:
"So, Kleiner: Die nimmst du jetzt zwischen die Zähne, damit du dir nicht
auf die Zunge beißt! Es wird nämlich weh tun, aber ich muss dir die Kugel
rausholen – verstanden?" Brandon hatte keine
Wahl... Tatika sah die Tränen in seinen Augen, sah, wie er sich die Binde
zwischen die Zähne schieben ließ und zitterte vor Angst und Schmerz. "Halte seine
Beine gut fest, hörst du!" befahl ihr Jack und sie tat, wie ihr geheißen. Das
Desinfizieren der Wunde brannte höllisch und Brandon biss verzweifelt auf die
Binde, während sein lautes Stöhnen durch den Mull drang. Sein Puls hämmerte in
den Schläfen wie ein Presslufthammer. "Tut mir leid,
Kleiner..." murmelte Jack, "aber das ist erst der
Anfang...!"................................. aus
Kapitel 6 So sehr er auch
versuchte, seine Augen zu schließen und einfach wegzudriften, es gelang ihm
nicht. Überall sah er Tikas Augen, sah sie weinen, hörte ihre verzweifelten
Schreie und fühlte seine eigene Ohnmacht, ihr nicht helfen zu können. Wie ein
Endlos-Film spulte sich alles immer wieder vor seinen Augen ab, sah er ihren
mit Todesangst erfüllten Blick, der ihm zum letzten Mal sagte: Ich liebe
dich!... Immer wieder... immer wieder... Es schien eine
Ewigkeit zu dauern, bis die Erschöpfung seine Augen schloss und ihn endlich
abtauchen ließ in eine alles umarmende Dunkelheit............................. ……………………………………………"Policia! Abrir la puerta!" "Aufmachen!
Polizei! Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!" Der Schuss zerriss
die angespannte Stille, die dieser Aufforderung gefolgt war und erschrocken
sahen die Männer sich an. Waren sie zu spät? Sie hatten keine
Mühe, die Holztür aufzubrechen. Jack saß auf dem
Stuhl und das Blut lief an seiner Schläfe hinunter. Unter seiner leblosen Hand
lag die Waffe, mit der er sich erschossen hatte. "Oh Gott, Lenny! Nein...!" Der Anblick ihres
Freundes ließ Nathan und Eduardo das Blut in den Adern gefrieren. Nat stürzte
auf das Bett zu, versuchte, bei ihm einen Puls zu finden... Dann blitzte ein Hoffnungsschimmer in seinen
Augen auf: "Schnell! Er atmet ganz schwach.. Los! Der Sanitäter muss her!
Er muss schnellstens in den Hubschrauber! Die sollen eine Trage herunterlassen!
Schnell, helft mir!!" Jack Frasier hatte
einen letzten Tribut an Brandon hinterlassen: Zum einen hatte er dafür gesorgt,
dass ausreichend Beweismaterial zurückgeblieben war, zum anderen waren auf
einem Zettel alle Namen notiert, seine Verbindungen zum Carlos-Kartell - alles.
Und ein Name war besonders markiert: Juan Martinez. Die Einsatztruppe handelte
schnell und fasste Martinez so wie drei seiner Leute noch am selben Abend. aus
Kapitel 7 Amanda Lennard war
sehr aufgeregt: In drei Tagen würde sie ihren neuen Job antreten: Eine schöne
Arbeit und wenn alles gut lief, eine Dauerstellung. Brandon würde sich bestimmt
darüber freuen. Schade, dass sie ihn immer noch nicht hatte erreichen können.
Mittlerweile hatte sie ein arg schlechtes Gewissen ihm gegenüber, weil sie so
lange nicht miteinander gesprochen hatten. Irgendwie war in letzter Zeit alles
schief gelaufen. Aber sie hatte ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter
hinterlassen und bald würde sie ihn in San Francisco besuchen und ihm alles
persönlich erzählen. Zusammen mit ihrem Freund Peter, der darauf drängte, ihn
endlich kennen zu lernen. Amanda drückte noch ein wenig mehr aufs Gas, in einer
viertel Stunde wollte der Möbelwagen da sein - sie musste sich beeilen... "Ist
das Ihre Verlobte, Amanda Lennard?" "Ja..."
Peter Stewart war blass geworden bei der Identifizierung der Leiche. Der Polizist nahm
ihn mit nach draußen. "Kommen Sie, schnappen Sie erst mal frische Luft...
Sie können morgen im Laufe des Tages vorbeikommen und die Papiere
unterzeichnen. Die Leiche kann dann freigegeben werden. Mein Beileid,
Sir!" Auf wackeligen
Beinen machte sich Amandas Freund auf den Heimweg, in ein Zuhause, dass er mit
Amanda hatte teilen wollen. Doch nun lag sie da... hatte die Vorfahrt nicht
beachtet, überhöhte Geschwindigkeit... Ihr Sohn hat ein Recht, alles zu
erfahren, dachte er. Er wusste, dass Amanda erst vor kurzem für den Fall ihres
Todes alles für ihn geregelt hatte. Am nächsten Tag sandte er den
verschlossenen Brief, den sie vorbereitet hatte, an dessen leiblichen Vater.
Dann versuchte er mehrmals, Amandas Sohn telefonisch zu erreichen, vergebens.
Er beschloss, ihm einen Brief zu schreiben. Peter Stewart ahnte nicht im
Geringsten, dass Brandon zur selben Zeit in Ecuador mit dem Tode
rang...................... .............................Er
hatte wohl auf der Schusswunde und den gebrochenen Rippen gelegen. Mitten in
der Nacht weckten ihn die Schmerzen auf und er sah sich orientierungslos im
fahlen Licht des Zimmers um. Der Tropf neben dem Bett, durch den irgendein
gelbes Zeug in seinen Arm sickerte... die weißen, kahlen Wände... irgendwelche Monitore...
Stöhnend legte er sich auf die andere Seite, in seinen Rippen brannte und
pochte es fürchterlich... Warum war er noch mal hier?... Reiß dich zusammen,
dachte er, denk nach! Es fiel ihm schwer, jeder Zentimeter seines Körpers
schien zu rebellieren und ihm bewusst zu machen, dass er noch lebte... noch
lebte... überlebt hatte... Als hätte eine
eiskalte Hand sein Herz ergriffen und zum Stillstand gebracht, lag er plötzlich
regungslos da in seinem Krankenbett, während die Angst ihm die Kehle zuschnürte
und seinen Mund austrocknen ließ: Tika!... Tika hatte nicht überlebt. Wie ein Blitzlicht
war ihr Gesicht wieder vor ihm aufgetaucht, sah er wieder ihren angsterfüllten
Blick... hörte er sie in Todesfurcht schreien... Verzweifelt versuchte Brandon
seine Augen zu schließen, um den furchtbaren Bildern zu entfliehen. Doch sie
waren da, in seinem Kopf, und hämmerten in seinen Schläfen. Sein Puls raste,
der kalte Schweiß brach ihm aus... irgendetwas piepte... Sie hatten seinen
zusammengebrochenen Kreislauf gerade noch rechtzeitig stabilisieren können: Mit
weit aufgerissenen Augen hatten sie ihn gefunden, apathisch vor sich
hinstarrend, während ihm die Tränen unaufhörlich übers Gesicht liefen. Besorgt saß Nat am
nächsten Morgen an seinem Bett und versuchte ergebnislos, ihn anzusprechen. Als
würde er gegen eine Wand reden, schien jedes seiner Worte an Brandon
abzuprallen. Er sah ihn nicht mal an. "Mein Gott! Was
ist bloß los!?" raufte er sich draußen auf dem Flur verzweifelt die Haare.
"Er war doch vorher ansprechbar – ich verstehe das nicht!" Eddy versuchte
gerade vergebens, ihn zu beruhigen, als plötzlich Carmen Ramos (Tatikas Mutter)
auftauchte. Erschrocken hatte sie die Hektik bemerkt und fragte besorgt nach
Brandon. Eddy unterhielt sich
mit ihr in Spanisch und erklärte, was vorgefallen war. Sie bat darum, alleine
zu ihm hineingehen zu dürfen. "Hola...
Donnio..." Ganz sacht hatte sie
sich zu ihm ans Bett gesetzt, ihn behutsam auf Spanisch angesprochen, ihn ihren
Sohn genannt... hielt seine Hand und streichelte sie sanft. Mit leeren Augen
hatte er an die Wand gestarrt. Doch seine Hand hielt ihre ganz fest
umschlungen. Und dann hatte er sich zu ihr gedreht und sie angesehen, während
seine Augen sich mit Tränen füllten: "Sie kommt nicht wieder... "
flüsterte er mit gebrochener Stimme in Spanisch. "Sie ist tot, nicht
wahr?" Carmen Ramos musste
all ihre Kraft zusammennehmen. Liebevoll strich sie ihm übers Haar, strich
beruhigend über seine Wange. Dann liefen ihr ebenfalls die Tränen herunter:
"Nein... unsere Tika kommt nicht wieder... Gott hat sie zu sich
geholt..." Sie sagten nichts
mehr, hielten einander nur fest. Er hatte jemanden
gebraucht, mit dem er um Tika weinen konnte........................... ...........................Mit
einem Militärflugzeug waren sie in die Staaten zurückgebracht worden. Brandon
hatte in seine Wohnung gewollt, doch das musste ihm aus Sicherheitsgründen
verweigert werden. Aufgrund seines schlechten Zustandes wurde er zunächst,
unter strengster Bewachung, in ein Krankenhaus gebracht. Derweil kümmerten sich
seine Freunde um sein Apartment. "Was hat er
gesagt? Seine Vermieterin hier unten im Haus hat seine Post für ihn
entgegengenommen? Dann hole ich die jetzt mal ab und regele das mit ihr,
ja?" meinte Ben und klingelte an deren Wohnungstür. "Ja, gut - du
kommst dann gleich hoch ins Apartment?... Okay!" Nat und Eddy suchten
derweil einige Sachen für Brandon zusammen, auch einige persönliche Dinge, um
die er gebeten hatte. Es konnte eine ganze Weile dauern, bis er in sein Zuhause
zurückkehren konnte: Nach dem Krankenhausaufenthalt würde man ihn zunächst in
ein Schutzversteck bringen und unter ständige Bewachung stellen. Er war der
einzige lebende Kronzeuge gegen das Drogenkartell. Auch Nat, Eddy und Ben waren
mit eingeteilt, sich für jeweils 12 Stunden die Bewachung zu teilen. "Eddy, guckst
du im Kleiderschrank nach seinen T-Shirts? Ich höre mal eben den
Anrufbeantworter ab..." Es waren
verschiedene Anrufer darauf, unter anderem von der Uni. Und der letzte Anruf,
der aufgezeichnet worden war, stammte von seiner Mutter. Leider war nicht mehr
genug Platz auf dem Band gewesen, so das nicht auszumachen war, von wo sie
seinerzeit angerufen hatte. Doch dann kam Ben mit einem Riesenstapel Post und
einer freudigen Nachricht nach oben: "Da wird Lenny sich freuen!"
rief er, "Ist ein Brief von seiner Mutter dabei! Schön, nicht wahr!?" "Das ist mehr
als gut!" meinte Eddy." So etwas kann er jetzt wirklich
gebrauchen..." Im Krankenhaus gab
Ben seinem Freund als erstes die Post. "Hier! Du wirst dich freuen - ein
Brief von deiner Mutter!" wedelte er mit dem Umschlag vor Brandons Nase
herum. "Was..?" Er hatte Mühe, sich
aufzurichten, denn sein ganzer Körper schmerzte bei jeder Bewegung. Doch das
Leuchten, dass plötzlich in seinen Augen erschien, war nicht zu übersehen. Und
ganz offensichtlich waren es gute Nachrichten, die in dem Brief standen. Ein
glückliches Lächeln huschte über sein Gesicht: "Sie konnte sich nicht
melden! Sie ist umgezogen..." "Und? Schreibt
sie, wo sie jetzt wohnt und wie du sie erreichen kannst?" "Ja! Sie hat es
zwischendurch wohl versucht, mich aber ebenfalls nie erreichen können. Und
hatte Ärger mit der Telefongesellschaft... Seht ihr: Darum konnte ich sie nicht
ausfindig machen... Sie ist mit ihrem Freund zusammengezogen und will mich demnächst
besuchen... Sie kann mich doch besuchen, oder?" Etwas betreten sahen
die anderen sich an und Ben kam an seine Seite: "Keine Sorge, Lenny - wir
werden das irgendwie arrangieren, trotz Schutzversteck! Habe ich Recht,
Jungs?" Die anderen nickten
bestätigend. Jeder im Raum wusste, wie wichtig das für ihn sein würde. "Hier ist deine
restliche Post!" drückte Ben ihm den ganzen anderen Stapel in die Hand.
"Ich glaube, damit bist du erst einmal eine Weile beschäftigt! Übrigens
werde ich dich bis heute Abend um acht nerven, dann kommt Nat und löst mich
ab... Alles klar, Kumpel?" "Ja... Danke
dir, Ben!" Er wollte ihn in
Ruhe lesen lassen und ging in die Personalkantine, einen Kaffee trinken. Nat
war nach Hause gefahren und Eddy hatte noch Dienst. Es saß sowieso immer ein
bewaffneter Wachposten vor Brandons Krankenzimmer. Brandon war nach und
nach die ganzen Briefe durchgegangen: Es waren Genesungswünsche dabei, unter
anderem von seinen Studenten. Überrascht sah er dann auf einen der Absender:
Peter Stewart. Das war der Name, den seine Mutter in ihrem Brief erwähnt hatte,
der Name ihres Freundes, mit dem sie zusammengezogen war. Irritiert öffnete er
den Brief... Der Wachtposten war
erschrocken von seinem Stuhl vor der Tür hochgefahren, als er im Krankenzimmer
ein klirrendes Geräusch vernahm. Sofort hatte er Ben angepiept. Die Dienstwaffe
im Anschlag, stürmte er dann in das Zimmer und fand einen tobenden Brandon vor.
Er schien völlig außer sich zu sein. Vergebens versuchte der Mann, ihn zu
beruhigen. Mittlerweile war bereits eine Schwester eingetroffen, die sofort den
behandelnden Arzt alarmierte. Sie versuchten gerade zu dritt, ihn festzuhalten,
als Brandon die Kräfte verließen und er bewusstlos zusammensackte. Ben kam gerade dazu,
als sie dabei waren, seinen Kreislauf zu stabilisieren. Fassungslos sah er,
dass sie ihn am Bett festgeschnallt hatten und blickte fragend auf den
Wachtposten. "Was ist denn hier passiert, um Gottes Willen!?" "Er hat völlig
durchgedreht! Keine Ahnung, warum!" Der Arzt beschloss,
Brandon in ein Intensivzimmer zu verlegen und ließ ihn wegbringen. "Haben
Sie eine Ahnung, was mit Dr. Lennard los ist?" fragte er Ben im fortgehen. "Nein... ist
mir auch schleierhaft..." wunderte sich Ben und gab dem Wachmann
Anweisung, ihn nicht aus den Augen zu lassen. Dann benachrichtigte er Nat und
Eddy, die schon bald darauf eintrafen. Das Zimmer machte einen verwüsteten
Eindruck: Brandon hatte Bilder von der Wand gerissen, eine Vase zerdeppert und
sämtliche Briefe teils zerfetzt oder durch die Gegend geschmissen. "Vielleicht ist
sein Trauma schlimmer, als wir gemerkt haben?" überlegte Nat laut, während
er sich erschüttert umsah. "Irgendetwas
ist passiert..." vermutete Eddy, "Lenny ist nicht der Typ, der
einfach so durchtickt! Der frisst doch eher alles in sich hinein..." "Lasst uns
alles systematisch durchsuchen, vielleicht finden wir einen Hinweis... seine
Post womöglich..." schlug Ben vor. Und er war es, der einige Zeit später
den Brief von Peter Stewart in seinen Händen hielt. Erschüttert hatte er sich auf
die Bettkante gesetzt, nachdem er die ersten Zeilen gelesen hatte.
"Jungs... ihr könnt aufhören zu suchen! Hier: Ich weiß jetzt, warum Lenny
völlig daneben war..." Und dann las er
seinen Freunden den Brief vor, in dem Peter Stewart Brandon voller Bedauern den
Tod seiner Mutter mitteilte und das er ihn nicht hatte erreichen können. Unter
anderem teilte er ihm auch mit, dass er einen Brief seiner Mutter an seinen
leiblichen Vater abgesandt hatte, leider nannte er jedoch dessen Namen nicht. Es war still geworden
in dem Krankenzimmer. Die drei Freunde saßen schweigend nebeneinander und jeder
von ihnen war dem Schicksal dankbar, nicht in Brandons Haut stecken zu müssen. Für alle Beteiligten
brach eine schwere Zeit an: Brandon stand unter schweren Beruhigungsmitteln und
war kaum ansprechbar. Seine körperliche Verfassung besserte sich zwar langsam,
doch seine Psyche war schwer angeschlagen. Es schien ihm alles egal zu sein und
man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, als weigere er sich, dass alles
als Realität zu betrachten. Selbst seine Freunde schoben ziemlich hilflos ihren
Dienst bei ihm und sahen mit Sorge, wie er sich immer mehr in sein
Schneckenhaus zurückzog............................................ .....................................Mittlerweile
war es bereits Ende November. "Ach,
Carol..." ließ Nat sich nach einem anstrengenden Tag seufzend ins Bett
fallen. "Hey, was ist
los? Du siehst fertig aus..." gab sie ihm einen Kuss und kuschelte sich an
ihn. "Du machst dir große Sorgen um Lenny, oder?" "Ich frage mich
allen Ernstes, wie er das noch länger überstehen soll. Man, du müsstest ihn
sehen: Total zugepumpt mit Beruhigungsmitteln läuft er herum wie Falschgeld,
stiert dauernd nur vor sich hin! Wenn man versucht, sich mit ihm zu
unterhalten... Ich hab das Gefühl, man kann gar nicht mehr zu ihm durchdringen,
verstehst du?" "Du hast
gesagt, er hat Albträume?" "Ja... das ist
das Schlimmste, wenn wir nachts bei ihm Dienst haben. Dann kriegst du mit, was
er Nacht für Nacht durchmachen muss. Dann hörst du ihn schreien, hörst, wie er
Tikas Namen ruft... Schweißgebadet liegt er da. Dann geistert er die halbe
Nacht herum wie ein angeschossenes Tier und du würdest ihm am liebsten den
Gnadenschuss verpassen..." Besorgt sah Carol
auf Nats sorgenvolles Gesicht, streichelte es liebevoll. "Es wird ihm
sicher gut tun, wenn er spürt, dass ihr euch um ihn sorgt! Ich glaube, wir
können uns kaum vorstellen, wie er sich quälen muss... Wenn ich mir überlege, ich müsste mit dem fertig werden, was er erlebt hat!" Sie holte tief Luft
und schüttelte den Kopf: "Zeige ihm, dass du für ihn da bist, Nat! Ich
glaube, dass hilft ihm am meisten!" "Es ist so
verdammt schwer... Ich fühle mich so hilflos!" Es war lange her,
dass Carol Tränen in seinen Augen gesehen hatte. Tröstend nahm sie ihn in ihre
Arme, flüsterte: "Ich liebe dich, Nat..." und drückte ihn zärtlich an
sich. In diesem Moment war
Nat dem Schicksal unendlich dankbar, dass er sich in diesen Armen geborgen
fühlen konnte. In dieser Nacht
hatte Ben Dienst im Schutzversteck. Es war schon fast Mitternacht, aber Brandon
machte keinerlei Anstalten, ins Bett zu gehen. Wie schon so oft, saß er vor dem
Fernseher und zappte sinnlos durch die Kanäle. Meistens ging das so lange, bis
er völlig übermüdet auf dem Sofa einnickte. Ben hatte es sich im
Sessel gemütlich gemacht und las in einem Buch, dass er sich von zu Hause
mitgebracht hatte. Ganz vertieft in seine Lektüre, erschrak er regelrecht, als
Brandon ihn unvermittelt ansprach: "Ben!?" "Was?...
Ja?" "Was denkst du:
Wie lange wird es noch dauern bis zum Prozess?" "Gute
Frage..." klappte Ben sein Buch zusammen. "Ich glaube, wenn die das
mit der Auslieferung von Martinez nicht in den nächsten vier Wochen hinkriegen,
dann stehen die Chancen schlecht. Während der Weihnachtszeit wird sich kaum
einer auf einen wahrscheinlich schwierigen Prozess einlassen... Wenn ich das
richtig beurteile: Ich würde eher mit Anfang des kommenden Jahres
rechnen..." "Das heißt, ich
sitze die nächste Zeit hier noch fest... du bist wenigstens ehrlich!" "Tut mir leid,
Lenny... Ich wollte, ich könnte die Dinge für dich beschleunigen, damit du hier
raus kannst!" Und im Stillen dachte Ben, wie lange er es noch wohl
ertragen konnte, in diese traurigen Augen zu sehen. Und diese Augen
starrten ihn jetzt gedankenverloren an. "Warum hast du eigentlich keine
Kinder, Ben?" Plötzlich redete
Brandon, redete wie ein Wasserfall. Alles wollte er wissen, was sich so in Bens
Leben zugetragen hatte. Und er sprach von Tika und wie sehr er sie geliebt
hatte; das er sich Kinder von ihr gewünscht und sich so sehr nach einer
richtigen Familie gesehnt hatte... In aller Ruhe ließ
Ben ihn reden. Er war erschüttert und erleichtert zugleich, schien sich doch
ein Ventil in seinem Innersten geöffnet zu haben, dass endlich all das
herausließ, was ihm auf der Seele lag. Oder zumindest ein wenig davon, denn
über das, was in Ecuador vorgefallen war, verlor er nach wie vor kein Wort. Sie hatten sich
solange unterhalten, bis Brandon vor Erschöpfung fast die Augen zufielen. Mit einem Male
lächelte er Ben versonnen an: "Hey... du bist ein guter Freund - weißt du
das?" Verlegen blickte Ben
auf den Boden: "Ach, komm... ist doch selbstverständlich..." Brandon stand auf
und ging auf ihn zu. "Ich kann nicht mehr - ich muss mich hinlegen... Gute
Nacht, Ben!" Ben war ebenfalls
aufgestanden. "Alles in Ordnung? Brauchst du noch irgendwas?" "Nein...
Danke... Danke für alles, Ben!" umarmte Brandon ihn spontan und der
drückte seinen Freund herzlich an sich, klopfte ihm beruhigend auf die
Schulter. "Du überstehst das, Lenny - keine Bange!" "Ja... Gute
Nacht!" "Nacht,
Lenny!" Brandon war ins Bad
gegangen. Ben hatte sich wieder in sein Buch vertieft. Er hatte hinten im Flur
Türen klappern hören und wähnte Lenny längst im Bett, als er etwa eine viertel
Stunde später zur Garderobe ging, um ein Päckchen Kaugummi aus seiner
Jackentasche zu holen. Lenny schien im Bad das Licht angelassen zu haben, der
Schalter außen an der Wand brannte noch. Ben knipste ihn aus. Plötzlich hörte
er ein klirrendes Geräusch von innen. Schnell schaltete er das Licht wieder an
und öffnete die Tür. "Lenny? Bist du
noch auf?... Lenny!!! Bist du bescheuert!? Was machst du da!?" Ben war gerade noch
rechtzeitig gekommen: Brandon hatte sämtliche Schlaftabletten und andere
Tranquilizer zusammengesammelt und war dabei, sie alle zu schlucken. Entsetzt riss Ben
ihm das Glas aus der Hand, brüllte ihn an: "Wie viel hast du schon
geschluckt!? Los, sag mir wie viel!!" Als keine Antwort
kam, packte ihn eine verzweifelte Wut: "Na schön, mein Freund... wie du
willst! Aber so einfach schleichst du dich bei mir nicht davon!!!" Brandon war Ben
körperlich völlig unterlegen. Für den war es einfach, ihn sich zu packen und in
die Mangel zu nehmen. Er versuchte zwar sich zu wehren, als Ben ihm den Finger
in den Hals stecken wollte, aber Ben war stärker: Er hielt ihm einfach die Nase
zu und brachte ihn schließlich zum Erbrechen. Dann hockte er neben
der Toilette, heulend und mit blutender Nase. Ben suchte nach einem
Waschlappen, machte ihn nass und reichte ihn seinem Freund: "Hier... tut
mir leid mit deiner Nase... komm, halte dir den Lappen drauf..." Widerstandslos
gehorchte Brandon. Da saßen sie nun:
Neben einem WC, in diesem gottverdammten Versteck - irgendwo in dieser Stadt.
Und Ben hielt seinen Freund fest, der sich schluchzend wie ein kleines Kind in
seine Arme geflüchtet hatte. Es gab keinen
lausigeren Ort zum Heulen................................... aus
Kapitel 8 "..... ergeht
folgendes Urteil: Schuldig im Sinne der Anklage..." Schuldig... dröhnten
die Worte in Brandons Ohren und der Rest ging irgendwie unter. Er hatte große
Mühe, sich zusammenzureißen. Seine Hände zitterten: Endlich würde es vorbei
sein, endlich würde er wieder nach Hause können... Martinez wurde abgeführt und
er sah noch einmal in die kalten Augen dieses Menschen – des Menschen, der sein
Leben zerstört hatte. Nat kam auf ihn zu,
klopfte ihm auf die Schulter und sagte irgendetwas, aber das drang nicht mehr
zu ihm durch. Brandons Herz klopfte wie wild, ihm wurde schwarz vor Augen und
er kippte einfach um. Seine Kraft war zuende. Sie brachten ihn ins
Richterzimmer und riefen die Ambulanz. Der herbeigerufene Arzt diagnostizierte
einen schweren Kreislaufkollaps und wies ihn ins Krankenhaus ein. Brandon war alles
egal: Er hatte nur noch das Bedürfnis, nichts mehr zu sehen und zu hören und
nur noch zu schlafen. Nat begleitete ihn
und sorgte für eine Bewachung an seiner Tür. Es war noch nicht vorbei, die DEA
rechnete weiterhin mit einem Anschlag. Brandon sollte in das
Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden - doch darüber war das letzte Wort noch
nicht gesprochen..................... ...........................Vier
Wochen später. Es war ein seltsames
Gefühl: Brandon kam sich vor wie ein Fremder, als er seine Wohnungstür
aufschloss. Acht lange Monate war es her, dass er hier zuletzt gestanden hatte.
Nat merkte, wie schwer es ihm fiel. Er kehrte nicht nur in seine Wohnung
zurück... da würden auch all die Erinnerungen auf ihn warten, mit denen er
fertig werden musste. "Lenny, ich
stelle deine Tasche erst mal hier in den Flur, ja?" meinte Nat, "Hey,
geh doch ins Wohnzimmer und setz dich erst mal hin - ich koch uns einen Kaffee,
okay?" Brandon zuckte
unschlüssig mit den Schultern, als aus dem Wohnzimmer plötzlich ein Stimmchen
ertönte, dass er kannte: "Mummy, jetzt!?" "Oh, nein, Lucy
- das war zu früh..!" Mit einem Mal kamen
sie alle aus ihrem Versteck hervor: Eddy, Ben, Carol und Lucy hatten hier auf
ihn gewartet, um ihn zu überraschen. "Was ist denn
hier los...?" Völlig überrumpelt stand Brandon dort, wurde von allen in
den Arm genommen und gedrückt. "Herzlich
willkommen zuhause!!" tönte es an seine Ohren und die kleine Lucy hielt
ihm ein Sträußchen Gänseblümchen entgegen und strahlte ihn an: "Die hab'
ich draußen für dich gepflückt, Lenny! Und dann haben wir uns alle versteckt,
Lenny - ich auch!" Gerührt ging er in
die Hocke und zwei Kinderarme umschlangen ihn, als wäre er nie fort gewesen.
"Ach, Lucy, mein Mäuschen... das ist lieb von dir... so schöne
Blümchen..." Er konnte nicht verhindern, dass ihm die Tränen herunterliefen. "Mummy, warum
weint Lenny denn? Freut er sich nicht?" "Doch, mein
Schatz... weißt du, manchmal, dann kann man auch vor lauter Freude weinen,
verstehst du..." Brandon lächelte
schon wieder und strich der Kleinen über den Kopf: "Deine Mum hat Recht,
Lucy! Das war so eine tolle Überraschung... Hey, sag mal: Hast du denn mein
Geburtstagsgeschenk bekommen?" Lucy nickte und
plapperte drauf los: "Hmm!! Und Mummy und Daddy haben mir immer deine
Briefe vorgelesen, weil, lesen kann ich noch nicht, aber nach den Ferien komm
ich in den Vorschule, weil, ich bin schon fünf, Lenny..." "Hey, du
Quasselstrippe!" meinte Nat zu seinem Töchterchen, "Lass Lenny sich
erst mal die Jacke ausziehen und hinsetzen, okay?... Also, Leute - wie wär's,
wenn wir jetzt zu einer gemütlichen Runde zusammenrücken!?" Carol hatte sich
unheimlich Mühe gegeben: Sie hatte nicht nur seine Wohnung geputzt, sondern
auch die kleine Wiedersehensfeier arrangiert. Alles war liebevoll
zurechtgemacht und ein kaltes Buffet hatte sie ebenfalls aufgebaut. Brandon war wirklich
überwältigt. Es war schon fast zuviel, so einsam wie er in den letzten Monaten
gewesen war. "Schade," dachte er laut nach, "dass Vater nicht
hier sein kann..." "Hey, ihr
trüben Tassen:" rief Carol in die Runde, "Wo bleibt der Sekt? Ich
denke, einen Begrüßungsschluck haben wir uns alle verdient, oder?" Schon
knallte der Korken und alle prosteten sich zu... "Ich komme morgen früh und helfe dir
aufräumen!" hatte Carol versprochen, als sie mit Lucy dann schon nach
Hause gefahren war. Und Nat hatte mindestens zehnmal gefragt, ob er nicht doch
lieber über Nacht bei ihm bleiben solle. Dann war er endlich
allein. Er fühlte sich müde und abgespannt, das ganze Reden hatte ihn
angestrengt. Mit einem Mal hatte er sich nach der Einsamkeit gesehnt, die er
die ganze Zeit über so gehasst hatte. Seine Freunde hatten es gut gemeint und
eigentlich war es ja auch ganz lustig gewesen, aber er musste sich erst wieder an das richtige Leben gewöhnen, nach
all der Isolation. Und jetzt saß er,
wie ein verlorenes Kind, auf dem Sofa und starrte vor sich hin. Eine plötzliche
Angst überfiel ihn: Angst davor, alleine im Bett zu liegen, Angst davor, dass
andere Zimmer zu betreten - Tikas Zimmer... Gesprächsfetzen
schwirrten ihm durch den Kopf, die Musik lief immer noch. Er nahm die
Fernbedienung und schaltete sie aus. Dann lehnte er sich zurück und schloss die
Augen. Es war ganz still, nur das Knistern eines Mineralwassers auf dem Tisch
war zu hören. Und wie immer, wenn es ganz still war, gingen seine Gedanken fast
automatisch nach Ecuador zurück............... ......................."Tika..."
flüsterte er leise vor sich hin, während er sein Gesicht in dem Sitzkissen
vergrub. Würde er jemals diese Bilder
vergessen können? Wenn er jetzt die Tabletten hätte... Einfach nicht mehr
denken müssen... einfach wegdriften... Im Krankenhaus war es leichter gewesen,
während der Entgiftung, da hatte er Ablenkung genug. Aber hier, ganz alleine
mit all den Gedanken... "Tika..."
Seine Augen füllten sich mit Tränen: Er sehnte sich so sehr nach ihr... alles
schien so sinnlos geworden zu sein... Abrupt sprang er auf
vom Sofa, lief wie ein Tiger im Käfig hin und her. Dann schnappte er sich die
Fernbedienung des Fernsehers und schaltete ihn an, stand gedankenverloren davor
und starrte auf die Bilder, während er durch die Kanäle zappte. Eigentlich nahm
er gar nicht wahr, was dort lief. Aber es war besser als diese unerträgliche
Stille... Brandon stand dort,
bis ihm schwindelig wurde und er sich setzen musste. Er fühlte sich völlig
erschöpft und hundemüde. Trotzdem hatte er das Gefühl hellwach zu sein und er
bekam noch mehr Angst: Angst davor, sich schlafen zu legen. Angst vor seinen
Albträumen. Jetzt war er ganz
alleine mit ihnen. aus
Kapitel 9 ....................................Der
Alltag hatte ihn wieder: Sie hatten sich darauf geeinigt, dass Brandon langsam
wieder anfangen sollte, erst einmal ein paar Vorlesungen und Seminare pro Woche
gab. Mit etwas gemischten Gefühlen radelte er Ende März auf das
Universitätsgelände. Er kam sich fast vor wie ein Neuling, der sich erst einmal
wieder zurecht finden musste. Dann tauchten die ersten bekannten Gesichter auf,
wurde er von einigen Studenten begrüßt. "Doktor
Lennard! Hi! Sind Sie wieder da?" "Wann ist denn
die erste Vorlesung?" "Hallo
Doc! Wie geht's Ihnen?" Anscheinend freuten
sie sich tatsächlich, dass er wieder da war. Das gab ihm ein gutes Gefühl. Einige Tage später
hielt er seine erste Vorlesung. An der Tür des großen Hörsaals hatte er sich
noch gewundert, dass es so still war innen drin. Für einen Moment hatte er
gestutzt und überlegt, ob er sich mit den Räumlichkeiten vertan hatte. Aber er
war richtig und so öffnete er die Tür. Es war
überwältigend: Der Hörsaal war berstend voll und es gab keinen noch so kleinen
Platz, der nicht besetzt war. Alle saßen still und erwartungsvoll in den
Reihen. Es war direkt unheimlich, man hätte eine Stecknadel fallen hören
können. Leicht irritiert und irgendwie verlegen ging Brandon zum Pult und
heftete sich das Mikro an die Brust. Und als hätten alle auf ein geheimes
Zeichen gewartet, brach ganz plötzlich ein frenetischer Beifall aus. Alle
Studenten erhoben sich von ihren Plätzen und applaudierten ihrem
"Doc" stehend. Der stand wie ein
begossener Pudel da und hatte einen dicken Kloß im Hals vor Rührung. Er sah in
strahlende Gesichter und dann kam Michael Whitfield auf ihn zu. Mit einem großen
Blumenstrauß in der Hand griff er nach einem Mikrofon: "Lieber Doktor
Lennard! Ich denke, ich spreche im Namen aller anwesenden und nicht anwesenden
Studenten, wenn ich sage, dass wir alle hier Sie sehr vermisst haben. Und das
wir froh sind, Sie gesund wieder zu haben. Wir haben oft an Sie denken müssen
und an das, was Sie durchmachen mussten. Und wir wollen Ihnen unsere
Unterstützung zusichern, damit Sie bald wieder ein fröhlicher Mensch sein
können! Also: Ein Herzliches Willkommen - im Namen des Studentenausschusses und
der ganzen Studentenschaft!" Brandon konnte nicht
verhindern, dass ihm die Tränen hinunterliefen und es dauerte eine Weile, bis er
sich wieder gefangen hatte und ein paar Worte sprechen konnte. Lächelnd sah er in
die Runde: "Hallo! Es ist schön, wieder bei Ihnen zu sein!" Wieder brach Beifall
aus. "Ich habe das
alles hier sehr vermisst... Vor allem möchte ich mich zuerst einmal für die
vielen Genesungswünsche bedanken, die mich im Krankenhaus und im Schutzversteck
erreicht haben. Sie haben mir viel bedeutet, denn sie haben mir immer wieder
gesagt: Das ist es, wofür es sich lohnt, durchzuhalten!... Eine Person jedoch,
die die meisten von ihnen hier kennen, wird nie wieder hier stehen und uns alle
mit ihrem liebenswerten Charme bezaubern: Tatika Ramos..." Es war totenstill im
Hörsaal, einige hatten Tränen in den Augen. Brandon wusste selbst nicht, woher
er die Kraft nahm, noch ein paar Worte über Tika zu sprechen. "...Doch
eines weiß ich sicher: Sie wird für immer einen Platz in Ihren und in meinem
Herzen haben..." Es war gespenstisch:
Genau in diesem Augenblick kam die Sonne hinter einigen Wolken hervor und
tauchte den ganzen Hörsaal ein in ihr warmes Licht. Als wolle der Himmel
persönlich ihm sagen: Das Leben geht weiter! "Haben Sie
herzlichen Dank für die wunderschönen Blumen! Ich werde sie an einen Platz
stellen, den Tika besonders gerne mochte. Dankeschön!" Er schüttelte
Michael Whitfield die Hand und legte die Blumen beiseite. Dann trat er wieder
ans Pult. "Und jetzt habe ich eine Überraschung für Sie alle: Sie sind die
ersten, die offiziell von der Entdeckung einer Inka-Höhle am Pichincha erfahren
- einer Entdeckung von Tatika Ramos!" Ein Raunen ging
durch die Reihen und aufmerksam richteten sich die Augen der Studenten auf
ihren Dozenten: Brandon konnte die Spannung im Hörsaal regelrecht spüren. Es
war ein ausgesprochen gutes Gefühl, dass herüberkam – er war wieder zu Hause. Doch viele von ihnen
bemerkten auch, dass dort nicht mehr der unbefangene, fröhliche Dr. Lennard vor
ihnen stand: Es war ihm deutlich anzusehen, dass das Erlebte seine Spuren
hinterlassen hatte. Nicht nur, dass er schmaler geworden war und mitgenommen
aussah. Es war das Leuchten in seinen Augen, dass
fehlte............................................... ............................."Schlimmer
Tag heute?" Carol war nicht entgangen, wie gefrustet Nat vor dem Fernseher
saß. "Ach...
eigentlich nicht..." "Sag mal... weißt du, wie es Lenny geht? Man hört und
sieht ja nichts von ihm!" Nat zuckte mit den
Schultern: "Keine Ahnung! Er hat nie Lust, vorbei zu kommen, nie Lust, mit
uns auszugehen... der Herr ist aus seinem Schneckenhaus nicht
herauszukriegen!" "Vielleicht braucht
er einfach Ruhe?" Energisch schüttelte
Nat den Kopf: "Nein, nein! Ich glaube eher, er läuft seinen Problemen
davon! Heute ist der 1. Mai, d.h. seit vier Wochen versuche ich bereits, ihn zu
unserem Psychologen zu bekommen – aber nein, er weiß es ja besser! Morgen,
morgen, heißt es dann... Dr. Gilbert ist schon sauer auf mich, weil er ihm
ständig einen Termin freihält und er doch nicht kommt!" Nachdenklich sah
Carol ihren Mann an: "Vielleicht muss man etwas vorsichtiger vorgehen? Ich
meine nur, ich kann mir vorstellen, dass er ganz einfach Angst hat, darüber zu
reden! Desto mehr du versuchst, ihn zu zwingen, desto mehr wird er abblocken,
denke ich!" Carol wusste, wovon
sie sprach: Sie hatte jahrelang als Sozialarbeiterin in einer caritativen
Einrichtung gearbeitet, war dort mit vielen Problemen konfrontiert worden. Für
einige Stunden in der Woche arbeitete sie immer noch in einem Jugendtreff.
"Weißt du, was mir gerade für eine Idee durch den Kopf schießt?" Neugierig sah Nat
seine Frau an: "Schieß los!" "Gerald ist
doch noch in eurer Einheit, oder?" "Worauf willst
du hinaus?" "Er ist doch im
Grunde eine neutrale Person für Lenny. Vielleicht kann man ihn überreden, mal
bei Lenny aufzutauchen – sozusagen um in Erinnerungen zu schwelgen, wie toll
das damals gelaufen ist mit der Uni-Geschichte! Ich glaube, von ihm würde er
sich nicht bevormundet fühlen. Vor allem, weil Lenny ihm damals doch auch
geholfen hat, als er angefixt wurde... Was denkst du?" Nat grinste Carol an
und drückte ihr spontan einen Kuss auf die Wange: "Also, manchmal – da
hast du richtig gute Ideen!" "Manchmal!?"
tat sie nun entrüstet und schlang schmunzelnd ihre Arme um seinen Hals. Nat grinste noch
mehr: "Und...? Was haben wir jetzt noch für Ideen...?" Carol küsste ihn und
schmiegte sich an ihn: "Lass uns nach oben gehen..." Sie brauchte nicht
lange zu bitten.............................. ........................."Oh
Mann... das habe ich nicht gewusst!" Gerald war sichtlich betroffen,
nachdem Nathan ihm gleich am Freitag Morgen sein Anliegen bezüglich Brandon
vorgetragen hatte. Nats Ratlosigkeit
war deutlich zu spüren: "Weißt du, Gerry... es ist im Moment so verdammt
schwer, überhaupt an ihn heranzukommen: Ich habe den Eindruck, dass er sich
gegen alles, was mit der Sache irgendwie in Zusammenhang steht, völlig
abschottet! Im Grunde lässt er niemanden an sich heran." "Und sein
Vater?" "Sie haben
regelmäßig Kontakt, soweit ich weiß. Ach, dieses Wochenende will er übrigens
dorthin, ihn besuchen. Ich kann natürlich nicht sagen, ob er vielleicht mit ihm
darüber redet, aber ich denke mal, die beiden müssen sich ja selbst erst
richtig kennen lernen..."......................... ....................................In
der Woche darauf hatte Gerald einen freien Abend und beschloss, Brandon zu
besuchen. Erst wollte er anrufen, doch dann fand er es besser, einfach so
aufzutauchen, so das es ganz spontan aussah. Und das sollte sich als völlig
richtig herausstellen. Ein total
überraschter Brandon öffnete ihm gegen acht Uhr abends die Tür:
"Gerry..!" "Hi! Ich hoffe,
ich störe nicht." "Nein,
natürlich nicht... komm doch herein!" "Weißt du, ich
hatte zufällig frei heute Abend und da dachte ich, ich schaue mal bei dir
vorbei. Ich wollte mich immer noch mal bei dir bedanken, weil du mir damals so
nett geholfen hast..." Brandon bat ihn aufs
Sofa, entschuldigte sich für das Chaos dort im Wohnzimmer, wo überall
irgendwelche Schriften herumlagen. "Tut mir leid... sieht fürchterlich
aus, ich weiß... Ich bin dabei, Schriften auszusortieren..." Gerry sah die
Flasche Rotwein und das eingegossene Glas auf dem Schreibtisch. "Du hör mal,
Lenny... hast du Lust, kann ich dich zum Essen einladen? Wie wär's?" Brandon wirkte
irgendwie betreten auf Gerry, als er sich nun durch die Haare fuhr und meinte:
"Oh, also ehrlich gesagt... ich habe gerade gegessen... kann ich dir auch
ein Glas Rotwein anbieten?" "Nein... danke,
ich mag nicht so gerne Wein... Hör mal, hast du überhaupt Zeit? Du siehst
ziemlich beschäftigt aus..." Brandon ließ sich
auf den Sessel fallen und fuhr sich durchs Gesicht: "Ach, wenn ich ehrlich
bin... eigentlich habe ich auch keine Lust mehr, weiter zu sortieren. Kann ich
dir irgendwas anderes anbieten?" "Du... lass uns
doch ins Skylab gehen, wie
wär's?" Brandon schien kurz
zu überlegen, doch dann nickte er zustimmend: "Ja! Warum eigentlich
nicht... Du, entschuldige mich kurz: Ich ziehe mir eben was anderes über und
mache mich ein bisschen frisch, ja..?" Als Gerry sah, dass
Brandon im Bad verschwand, konnte er nicht anders: Schnell schlich er auf
Zehenspitzen in den Flur und sah in die Küche. Und richtig genug: Dort standen
etliche leere Weinflaschen in der Ecke und besonders ordentlich war es auch
nicht. Die ganze Wohnung machte einen vernachlässigten Eindruck. "Okay, wir
können!" kam Brandon schließlich aus dem Bad und sie zogen los. Zwei Tage später
traf Gerald im Büro auf Nat und nahm ihn beiseite. "Hi, Nat!... Kann ich
dich mal eben sprechen?" "Was
gibt's?" Gerald sah Nat ernst
an: "Ich war mit Lenny aus..." Nat horchte auf:
"Du hast ihn vor die Tür gekriegt!?" "Ich fürchte,
Lenny hat größere Probleme, als wir ahnen..." Ernsthaft besorgt
erzählte Gerald ihm nun von dem gemeinsamen Abend und auch von seinen Beobachtungen in Brandons Wohnung. "Weißt du, Nat,
ich muss zugeben, ich war erschüttert, als ich ihn sah: Okay, ich hatte ihn
eine ganze Zeit nicht gesehen und er hat eine Menge durchgemacht, aber so...
Ich hatte es mir nicht so schlimm vorgestellt! Der ist ja völlig durch den
Wind! Ein Psychologe bin ich sicherlich nicht, aber das sieht ein Blinder, dass
Lenny Hilfe braucht! Meiner Meinung nach wird er überhaupt nicht mit dem
fertig, was er erlebt hat!" Nat seufzte vor sich
hin: "Wem sagst du das... Meinst du, er hat jetzt auch noch ein
Alkohol-Problem?" Ein wenig ratlos
zuckte Gerry mit den Schultern: "Man hängt natürlich schnell jemandem was
an... aber für mich sah es so aus!" Entschlossen schlug
Nat nun mit der Faust auf den Tisch: "Jetzt schleife ich ihn zu unserem
Psychologen – und wenn ich ihn in Handschellen dorthin bringen muss! Jetzt
gibt's keine Ausrede mehr!" aus
Kapitel 10 "Nein,
verdammt!!! Geht das in dein Hirn nicht rein!? Ich will nicht alles aufgeben
müssen, ich will keine neue Identität - ich will bleiben wer ich bin! Und wenn
sie mich erwischen, dann erwischen sie mich eben! Mein Gott – lasst mich doch
endlich mal alle in Ruhe, verdammt!!" Wutentbrannt hatte Brandon Nat
angeschrieen. Der sah seinen
Freund ungläubig an und raufte sich verzweifelt die Haare. "Brandon
Lennard, du weißt nicht, was du da sagst! Verflucht: Meinst du, ich habe Lust,
dich eines Tages im Leichenschauhaus zu identifizieren!? Auch wenn der Prozess
gelaufen ist, für die Carlos-Leute bleibst du ewig auf der Abschuss-Liste!
Kapier das doch endlich!!" "Nat hat Recht,
Lenny." stand Carol plötzlich in der Tür, "Und das weißt du genau.
Vielleicht solltest du noch einmal in Ruhe darüber nachdenken, hmm?... Im
übrigen würde ich euch bitten, leiser zu sein. Lucy ist von eurem Geschrei wach
geworden und fragt schon, warum ihr so böse miteinander seid. " "Hey... tut mir
leid, Carol!" bat Brandon um Verzeihung, "Sage ihr, wir haben uns
wieder vertragen, ja?" "Okay..."
schmunzelte Carol und ging wieder rauf zu ihrer Tochter. "Nat,
entschuldige, dass ich dich so angeschrieen habe..." "Lenny, ich
kann dich ja verstehen... Aber ich kenne auch die andere Seite: Das, was man
den Leuten antut, die sich einmal gegen das Carlos-Kartell gestellt haben. Du
kannst froh sein, dass die DEA immer noch bereit ist, was für dich zu
arrangieren!"
"Das ist mir
klar und ich weiß, Nat, dass du es nur gut meinst... genauso wie Eddy und Ben.
Die haben ja auch schon versucht, mich weich zu kneten. Aber überlege außerdem
mal: Wie soll das gehen? Ich möchte schließlich auch weiterhin Forschungsarbeit
machen, also vor Ort als Archäologe tätig sein. Ich möchte weiterhin
veröffentlichen können in Fachzeitschriften und all das, aber mein Gesicht und
mein Name sind bereits bekannt in Fachkreisen. Was ich sagen will ist: Mit
einer neuen Identität würde ich auch ein neues Gesicht brauchen, um weiter
international arbeiten zu können. Und das würde bedeuten, ich müsste wieder
ganz von vorne anfangen, mir einen guten Ruf zu erwerben!... Es geht so einfach
nicht, Nat! Und die Wochen im Schutzversteck, die Isolation, dass ständige
unter Bewachung stehen... der Prozess... Ich kann das alles nicht mehr
ertragen, ich will einfach nur wieder ich selbst sein, verstehst du? Alles
hinter mir lassen..." "Zu Dr. Gilbert
bist du auch nicht mehr gegangen!" kam es nun ein wenig vorwurfsvoll von
Nat. "Du, dass war
gut gemeint von dir mit eurem Psychologen, ganz bestimmt. Aber ich bin mit dem
nicht klar gekommen. Ich mochte den Typ einfach nicht, verstehst du. Vielleicht
werde ich meinen Vater besuchen, so für zwei, drei Wochen... In ein paar Wochen
sind ja schon Semesterferien... mal sehen..." "Na
schön", fuhr Nat sich durchs Gesicht, "ich gebe auf... Okay, ich gebe
auf!... Aber du musst mir versprechen, dass du dich einmal am Tag bei einem von
uns dreien meldest, verstanden!?... Wenn nicht..." "Ja, ja... ich
weiß... dann steht ihr bei mir auf der Matte! Ist schon okay... Den
Ersatzschlüssel für mein Apartment hast du noch?... Gut..." "Was hast du
heute Abend vor?" "Ach, mal
sehen... ich muss immer noch 'ne Menge nacharbeiten für die Uni... Ich melde
mich bis 22 Uhr, versprochen!" "Okay, ich
bring dich raus... Oder soll ich dich nicht doch lieber eben mit dem Wagen
fahren?" Brandons entnervter
Blick sprach Bände. "Schon gut,
schon gut! Ich meine ja auch nur..." In der Tür lächelte
Brandon seinen Freund an, klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
"Hey... Danke! Ich weiß deine Freundschaft zu schätzen, Nat! Und außerdem,
sei mal ehrlich: Wenn die gewollt hätten, dann hätten die mich schon längst
erwischen können, oder?" Nachdenklich seufzte
Nat vor sich hin: "Ich habe einfach zuviel gesehen... Vielleicht kann ich
nicht mehr glauben, dass irgendwas auch mal gut gehen kann, weißt du!" Gegen 22 Uhr ging
Nats Handy: "Wallace?" "Hi Nat.
Brandon. Bei mir ist alles klar." "Okay, bis dann." "Bis
dann." Sie hatten sich auf
einen bestimmten Wortlaut geeinigt, für alle Fälle. So würden Nat und die
anderen merken, falls etwas nicht stimmte. Falls er mal in Not wäre, aber nicht
frei würde reden können, hatten sie eine ganz andere Redewendung vereinbart.
Doch das würde hoffentlich nie eintreffen. Und gerade trotz
aller Fürsorglichkeit seiner Freunde kam Brandon sich vor wie in einem nicht
enden wollenden Albtraum. An einem der
nächsten Abende fiel ihm wieder die Decke auf den Kopf. Diese ständige innere
Unruhe, die er fühlte, machte ihn mittlerweile völlig fertig. Eigentlich war es
immer noch der Entzug der Psychopharmaka, unter dem er litt. Seit er wieder
klar denken konnte und von dem Zeug nicht mehr benebelt war, war ihm das ganze
Ausmaß seiner Situation immer mehr bewusst geworden. Und umso weniger mochte er
sich inzwischen damit auseinandersetzen. Er hatte die
Weinflasche schon wieder in der Hand, doch plötzlich besann er sich eines
Besseren und zog sich um. Dann schnappte er seinen Rucksack und schwang sich
auf sein Fahrrad. Nachdem er ziellos
und uneins mit sich selbst schon ziemlich weit durch die Gegend geradelt war,
beschloss er schließlich, in einer Kneipe in der Nähe vom Hafenviertel etwas zu
trinken. Da es noch relativ früh am Abend war, schien noch nicht soviel los zu
sein........................................ Soweit also die
Leseprobe aus dem Roman, der gerade entsteht. Die eigentliche Geschichte
Brandons fängt, wenn man so will, erst im 10. Kapitel an, denn zu diesem Zeitpunkt
ändert ein Ereignis sein Leben ganz
plötzlich. "Das
Dunkel Der Hölle" wird voraussichtlich 20 Kapitel und ca. 300 Seiten
haben. Z. Zt. (Febr./02) sind bereits 207 Seiten entstanden. ©
Reena Roesmann 1999-2002
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